Elsoffer Platt

ELSOFFER PLATT

            Die Elsoffer Mundart weist einige Besonderheiten auf, die nur ihr eigen sind und die sie von allen anderen Wittgensteiner Mundarten deutlich hörbar unterscheidet. Es ist nahezu unmöglich, gesprochenes Platt mit dem uns zur Verfügung stehenden Alphabet zu verschriftlichen. Das wirkt auf den der alten Sprache noch mächtigen Sprecher geradezu lächerlich. Um zumindest der gesprochenen Sprache im Klang ein wenig näher zu kommen, hat Gerhard Mengel einige phonetische Besonderheiten des Elsoffer Platt mit Beispielen zusammengestellt, welche wir der Erzählung von Kurt Hüster voranstellen. Außer den Aufzeichnungen und Veröffentlichungen von „Bierbröwersch Kurt“ in den Heften und Arbeiten des Wittgensteiner Heimatvereins existiert nur noch das Büchlein von Ewald Gücker, das zahlreiche Episoden aus dem Dorf in Platt enthält und heute vergriffen ist.

            Wesentlich authentischer sind natürlich Tondokumente. Die Elsoffer Musikgruppe „De Seddehetzer“ hat seit einigen Jahren die Sprache unser Vorfahren in zahlreichen Liedern, Musikstücken sowie gesprochenen Texten einer interessierten Öffentlichkeit zu Gehör gebracht. Die Gruppe hat 2013 eine DVD und eine Textsammlung der von ihr vertonten Stücke herausgebracht. Sie kann bei Gerhard Mengel, Eichendorffstr. 11, 35116 Hatzfeld und über den Heimatverein Elsoff käuflich erworben werden. Ansonsten verweisen wir auf den Link auf dieser Homepage zum Portal „Wittgensteiner Platt“: http://www.wittgensteiner-platt.de/

Da wir davon ausgehen können, dass unsere heute über tausendjährige Muttersprache in den nächsten 20 bis 30 Jahren als lebende, noch gesprochene Sprache endgültig verloren gehen wird, wenn sie nicht in den Schulen wieder verstärkt auf dem Lehrplan kommt, soll hier eine kleine Textprobe gegeben werden. Der von Kurt Hüster ca. 1980 publizierte Text wurde von Gerhard Mengel phonetisch angepasst.

Erläuterungen zur Aussprache

À, à = breites A

Å, å = wie schwedisch Åkeson, Dåg [Tag], Dål [Tal],

Ǫ, å = hohles, dumpfes, tiefes O, wie jǫ für ja

Ø, å = tiefes dumpfes Ö, zwischen Ö und O liegend

Ë, ë = wie Stëë [Stein], Bëë [Bein], zwischen E und Ä

Ů, ů = zwischen U und O

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Elsoffer Borsche

Meer wornse! – orrer: De verungläggte Zocht!

            Da Robert woar sächse, ëch sewwe unn da Koarl neine, unn ma hogden mer insen blanke zergratzde Knie em fatte Maigrås. Veer ins, en guld-gähle Summerdoore stüng ë Reih Zigorrkestcher met veele klëne Lëcher em Daeggel. Ennewannich dränne harren mer Abbelblarrer unn frëschen Mai. Unn wenn ma da Daeggel offmååchden, da bewëjede sëch alles, da woar das wie ën Knüwwel. Vull Maikäfer harren ma de Keste! Do woarn klëne unn große, hällere unn dungelere, Mànncher unn Weibcher. Do woarn na øh bei, dänn fahlte en Flejel orrer ë Bëh orrer en Fiehler. Awwer jerer vå ins hatt öh noch ëh besunner Kestche, das woar was feer sëch: Do harren mer de Miller dränne. Ja, de Miller, das woarn noch Maikäfer! Die sogen aus, als wenn se met weësser Saire ewwerzoge wern. Se woarn sëlten unn vielleicht jerer hunnerdste woar en Miller.

            Wenn mer de Ǫwend eh der Dämmeringe de Abbelbeme resselten, wenn de Maikäfer manchmol wie gleene Beeneschworme ewwersche herfillen unn mer fongen dabei söwas Seltenes, da riefen mer: „Ech honnn en Miller“, unn her kopam eh ne eaxdra Kestche. Unn wenn mer düschden, da kreejen mer fer en Miller zwäscher fönf unn zah braune, je nodämm, wie de Nofroge woar.

            En scheene Dag saht der Koarl: „Ech wehß was, meer mürren ins de Miller sälwer zieh!“ Wenn mer öh noch sö gläh woarn, meer wossden schon, was meer wullen. Orscht froren mer ins: Hotts öweerhöpt Wert, flijjen se des annere Johr net no Alertshause orrer Berrelhause? Da Koarl saht: „Die bleiwen hie, wie de Mansche unn de Dierer öh.“ Ech saht: „De Schwalcher machen öh fort.“ Awwer da Koarl lüss das net gäell unn mende, das wern nür Seldenhäre.

            Unn weil meer wossden, derres Osse unn Fassekalwer gab, bein Biebcher Hähne unn Hinnercher, bein Katze Korrer unn Katzcher, Hunne unn Mürrerhunne, Horsche unn Horschkieh, Rehbeege unn Reha, süchten meer voa insen Braune orscht mol alle Manncher unn Weibcher ausenanner. De braune Manncher lüssen mer flijje, wenn mer verher gegüggt harren, wie se Luft bumbden. Donoh woarren de Miller off de braune Weibcher vadählt unn bei se eh de Keste gedah. No langer Engerhaalingewoarn mer ins gloar dodrewwer, derres sö em annere Johr veel meh Miller gäwe müssde, unn wenns güng, wullen mersche net meh düsche, da wullen mersche verköfe. Alle poar Dage lüssen mer inse Zocht flijje unn fingen nöwwe Braune, de Miller behüllen mer bes zületzt.

            Unn wie de Maikäferzeit remm woar unn meer gläne Borsche em Gras lagen, do sogen mer ne degge Hummel off´ner Blümme. Meer wordeten, bessse sech schee vullgesoge hatt unn net meh schnäll flijje kunn, unn da gings hänger na her. De Maikäfer woarn vergässe, unn meer maachden Kestcher met Hummelnäster. Dehäme hollden mer Honig unn fürrerden de Humel, streeren drewwer, was Moos- unn Stähhummel woarn, wie de Kenijin aussog unn wie die annere.

            Meer maachden öh Hübbe unn Peffe, Waaldhorner unn Flitzeboge. Faule Stänne woarren gesücht unn Träjelcher draus geschnätzt. De degge Schoale voarn Lorche gab gläne Schiffcher. Meer schnätzden sö scheh, maachden en Mast unn voa nem Stegge Stoff eh Sejel droff. Wenn de Fichde rechdig em Hoarz woarn maachden meer „Saddlerknoore“ unn woarren meer dobei awescht, da krejen mer´z Fäll gedrasche. Voa Hassel maachden mer „Haasegnorr“. Voa Hassel-Schäncher worren „Beerekorbcher“ gemaachd.

            Unn da de Bach! Enn Kumb maachden mer näwer dem annere, vull Greese 1), Grongel 2), Neidierer 3) unn Boartbotzer 4).

            Öh de Vejjel haarre´s ins agedah. Do güggden mer, wie de Grasmägge äere Eier lären unn ausbriddeden. Unn wenn de Vejjelcher hösse woarn unn de Schnoawel offschborrden, da daaren mern gläne Röbbcher neh. ´s gab naud eh da Nadür, was mer ned woßten orrer ned versücht herren ze versteh.          

            Ëh Johr ging remm, unn werrer kam da Mai. Awwer es woar ne schlaachtes Maikäferjohr! Meer woarn öh ëh Johr allerr woarn unn woßten nü, dess mer frihesdens eh nomol drei Johr off inse Zocht räche kunnen. Das dührde ins zelange, unn mer fingen inse Maikäfer wie frieher unn lüssen se mache was se wullen.

            Donoh güggden mer werrer non Vejjel, maachden Hübbe unn grongelden, de Stälze worren hejer, unn aus däm Flizzeboge woarre ne Armbrost.

            Wenn ëch haure eh der Zeiringe läsen, dass enn Maikäfer dausend Mork kostet, da woarn mer doch offem rëchtige Wäg. Ehr liewe Leire, was worre haure en Miller koste? – Unn mer sein oarme Schlugger gebleewe!

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Elsoffer Burschen

So waren wir – oder: Die verunglückte Zucht

Übertragung der Erzählung in die Hochsprache

Der Robert war sechs, ich sieben und der Karl neun Jahre alt und wir hockten mit unseren blanken, zerkratzten Knien im fetten Maigras. Vor uns, in den goldgelben Löwenzähnen stand eine Reihe Zigarrenkistchen mit vielen kleinen Löchern im Deckel. Inwendig drinnen hatten wir Apfelblätter und frischen Mai. Und wenn wir den Deckel aufmachten dann bewegte sich alles, da war das wie ein Knäuel. Voller Maikäfer hatten wir die Kiste. Da waren kleine und große, hellere und dunklere, Männchen und Weibchen. Da waren auch welche bei, denen fehlte ein Flügel oder ein Bein oder ein Fühler. Aber jeder von uns hatte auch noch ein besonderes Kistchen, das war was für sich: Da hatten wir die „Müller“ drinnen! Ja, die Müller, das waren noch Maikäfer! Die sahen aus, als wenn sie mit weißer Seide überzogen wären. Sie waren selten, und vielleicht jeder hundertste war ein Müller.

            Wenn wir des Abends in der Dämmerung die Apfelbäume schüttelten wenn die Maikäfer manchmal wie kleine Bienenschwärme über sie herfielen und wir fanden dabei so etwas Seltenes, dann riefen wir: „Ich hab einen Müller“, und er kam in ein extra Kistchen. Und wenn wir tauschten, dann kriegten wir für einen Müller zwischen fünf und zehn braune, je nachdem, wie die Nachfrage war.

            Eines schönen Tages sagte der Karl: „Ich weiß was, wir müssen uns die Müller selbst ziehen!“ Wenn wir auch noch so klein waren, wir wussten schon, was wir wollten. Erst fragten wir uns: Hat es überhaupt Wert; fliegen sie das andere Jahr nicht nach Alertshausen oder Beddelhausen? Der Karl sagte: „ Die bleiben hier, wie die Menschen und die Tiere auch. Ich sagte: „ Die Schwalben fliegen auch fort.“ Und der Robert sagte: „Und Zähre sind nach Amerika gegangen.“ Aber der Karl ließ das nicht gelten und meinte, das wären nur Seltenheiten.

            Und weil wir wussten, dass es Ochsen und Fasselkälber gab, bei den Küken Hähne und Hühnchen, bei den Katzen Kater und Kätzchen, Hunde und Mutterhunde, Hirsche und Hirschkühe, Rehböcke und Rehe, suchten wir von unseren Braunen erst mal alle Männchen und Weibchen und trennten sie. Die braunen Männchen ließen wir fliegen, nachdem wir zuvor geguckt hatten, wie sie Luft pumpten. Danach wurden die Müller auf die braunen Weibchen verteilt und zu ihnen in die Kiste getan. Nach langer Unterhaltung waren wir uns klar darüber, dass es so im anderen Jahr viel mehr Müller geben müsste, und wenn´s ging, wollten wir sie nicht mehr tauschen, dann wollten wir sie verkaufen. Alle paar Tage ließen wir unsere Zucht fliegen und fingen neue Braune, die Müller behielten wir bis zuletzt.

            Und als die Maikäferzeit vorbei war und wir kleinen Burschen im Gras lagen, da sahen wir ´ne dicke Hummel auf ´ner Blume. Wir warteten, bis sie sich schön vollgesogen hatte und nicht mehr schnell fliegen konnte, und dann ging´s schnell hinter ihr her. – Die Maikäfer waren vergessen, und wir machten Kistchen mit Hummelnestern. Daheim holten wir Honig und fütterten die Hummeln und stritten darüber, was Moos- und Steinhummeln waren, wie die Königin aussah und wie die anderen.

            Wir machten auch Hupen und Pfeifen, Waldhörner und Flitzebogen (Pfeil und Bogen). „Faule Steine“ wurden gesucht und Trögelchen (kleine Tröge) daraus geschnitzt.

            Die dicke Schale (Rinde) von Lärche gab kleine Schiffchen. Wir schnitzten sie so schön, machten einen Mast und von einem Stück Stoff ein Segel drauf.

            Wenn die Fichten richtig im Harz waren, machten wir „Sattlerknoten“ und wurden wir dabei erwischt, dann kriegten wir das Fell gedroschen. Von Hasel machten wir „Hasenknorr“. Von Hasel-Spänen wurden Beerenkörbchen gemacht.

Und dann „die“ Bach! Einen „Kumb“ machten wir neben dem anderen, voll mit Elritzen 1), Groppen 2), Bachneunaugen 3) und Gründlingen (Schmerlen) 4).

            Auch die Vögel hatten´s uns angetan. Da guckten wir, wie die Grasmücken ihre Eier legten und ausbrüteten. Und wenn die Vögelchen geschlüpft waren und die Schnäbel aufsperrten, dann taten wir ihnen kleine Räupchen hinein. Es gab nichts in der Natur, was wir nicht wussten oder versucht hätten zu verstehen.

            Ein Jahr ging rum und wieder kam der Mai. Aber es war ein schlechtes Maikäferjahr! Wir waren auch ein Jahr älter geworden und wussten nun, dass wir frühestens in nochmal drei Jahren auf unsere Zucht rechnen konnten. Das dauerte uns zu lange, und wir fingen unsere Maikäfer wie früher und ließen sie machen was sie wollten.

            Danach guckten wir wieder nach den Vögeln, machten Hupen und fingen Fische (grongele); die Stelzen wurden höher und aus dem Flitzebogen wurde eine Armbrust.

            Wenn ich heute in der Zeitung lese, dass ein Maikäfer tausend Mark kostet, dann waren wir doch auf dem richtigen Weg. Ihr lieben Leute, was würde heute ein Müller kosten?? – Und wir sind arme Schlucker geblieben!!

Wissenschaftliche Bezeichnungen der von Kurt Hüster im Text genanntenFischarten:

1) Phoxinus phoxinus (6-10 cm), 2) Cottus gobio (bis 15 cm), 3) Lampetra planeri (15-19 cm), Noemacheilus barbatulus (10-18 cm). Alle genannten Arten sind heute in ihrem Bestand gefährdet oder vom Aussterben bedroht!